Gletscher

Besser gesagt die Gletscherzunge ist das, was man hier sieht. Esther mag wärmere Zungen, das haben wir jetzt festgestellt, als ich meine Zunge eine Weile an einen Eiswürfel gehalten habe und dann in medias res ging. Alter, das war ein Gejauchze. Aber immer muss ich das nicht haben, die Zunge fand das auch nicht prickelnd. Kann man mal machen. Apropos Lecken, das Buch ist fertig geschrieben. Jetzt kommt das Korrektorat (ein Le(c)ktorat schenke ich mir) und dann kann es losgehen. Geleckt wird auch, obschon es nicht die Hauptsache ist. Einen Schwarzwaldgletscher gibt es leider keinen, vielleicht wäre ich dann mit meiner Protagonistin hingewandert. Zur kalten Gletscherzunge. Ich habe nicht einmal einen Schwarzwaldbecher eingebaut, aber klar, ist ja Quarantäne! Die Chinesin aus Stockdorf hat mich übrigens inspiriert, denn sie hat bei einem deutschen Mittelständler gleich vier Männer mit dem Coronavirus angesteckt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Ich wüsste jedenfalls, wie man es schafft, vier Männer auf einmal zu infizieren. Aber das ist dann wohl Stoff für eine andere Geschichte. Vielleicht wird die ja auch eines Tages geschrieben. Ich zeige euch noch einen kleinen Auszug.

Nackte Frau vor einer Gletscherzunge
Am Nordkapp war es kälter

Tatsächlich Nutte

3. Tag

»Haste mal ferngesehen? Die drehen alle völlig am Rad.« Constanze sitzt auf dem Feldbett, in der Kammer steht ein winziger Fernseher, Ritter-Sport-Größe. Rund um die Uhr, Corona, Covid-19, SARS-CoV-2, Isolation, Quarantäne, Hamsterkäufe, Politiker, Tote, verwaiste Orte, Hiobsbotschaften, Kontaktverbot, Ausgangssperren, geschlossene Schulen, Bars, Hotels, Restaurants, Clubs, Schwimmbäder, Theater, Kinos, abgeriegelte Orte, Landstriche, Länder und Kontinente.
»Wir sollen Sozialkontakte vermeiden, heißt es. Ficken etwa auch?«
»Constanze, machst du Witze? Natürlich auch ficken. Nur wir nicht. Zu spät, was wir kriegen können, haben wir längst. Wir haben nix, also kriegen wir auch nix. Jedenfalls wenn wir zu dritt bleiben.«
»A propos zu dritt. Hast du Mailin jetzt endlich gebumst? Keine Ahnung, was du an ihr findest und warum du scharf auf sie bist.« Constanze hat eine leicht vulgäre Art. Ich stehe auf sowas. Wenn sie gebumst sagt, ist das eine faszinierende Mischung von vulgär und niedlich. »Sag nochmal gebumst. Finde ich sehr scharf, wenn du das machst.«
»Kein Bock. Haste nu, oder nicht?«
»Nein, noch nicht.«
Constanze verdrehte die Augen Richtung Decke, sodass ich das Weiße sehe. »Wieso nicht? Ist ihr Schlitz unten auch waagerecht wie die Augen?«
Ich ignoriere den blöden Witz und frage: »Kann ich mal was ausdrucken bei dir?«
»Ja klar, ist genug von allem da. Drucker steht hinten im Büro. Brauchste den Computer auch? Kennwort ist gernsbach_84.«
»Ist ja ein superschweres Kennwort. Steht vermutlich auch unter der Tastatur.«
»Nee, seitlich am Monitor hängt ein gelber Zettel, da stehts drauf.«
Mit Ironie hat Constanze es nicht so und mit IT-Sicherheit auch nicht. Nicht mein Problem, zum Glück. So gerüstet schnappe ich mir mein Notebook und öffne Photoshop. Unterdessen ist Mailin aufgetaucht und zu Constanze gegangen, dann gibt es Kaffee und irgendwann bin ich fertig. Der Drucker kann Farbe und nach einer Minute mit einer Schere und eine Unterschrift später bin ich im Besitz eines astrein gefälschten Rezepts. Ich stecke den Kopf durch die Tür und sage: »Ich bin mal eben zur Apotheke. Braucht wer was?«
Mailin steht auf, obschon sie nichts versteht und Constanze sagt: »Ein paar Aspirin vielleicht und einen Schwangerschaftstest.«
»Hey, du hast heute einen Clown gefrühstückt! Der Test nützt eh nix, ich füll dich noch ein paarmal ab.«
»Alter Angeber, bei mir aufgeilen und bei der Chinanutte abspritzen, das hab ich gern. Schade, dass ich eine Schwäche für Hurenböcke habe. Sonst würde ich dich abservieren.«
Soll sie, dann kann ich mir den Weg sparen. Weswegen mache ich das denn alles? Auf dem Weg zur Apotheke kommen wir an meinem Lieblingsbäcker vorbei, der heute alleine in seinem Laden steht. Ich winke ihm zu und markiere einen Hustenanfall. Ich lache mich halbtot, als ich sein Gesicht sehe. Mailin lacht auch. Ob sie meinen Witz versteht? Wir gehen weiter, ohne anzuhalten. In der Apotheke gebe ich mein Rezept einer Frau mit grauen Haaren und obszön dicken Brüsten. Fünfzehn Jahre älter als ich, Minimum. Was ist das hier, der Volkssturm? Sie sieht mich über den Rand ihrer Brille hinweg an. Na komm, denke ich, was liegt dir auf der Zunge? Spuck‘s aus! Aber nichts dergleichen. Anstandslos geht sie nach hinten und kommt eine Minute später wieder zurück. Mit leeren Händen, was sonst. Auf dem Rezept steht, man möge dem Überbringer gegen ein schmales Salär bitte ein leistungsstarkes Potenzmittel überreichen. Daher senkt sie die Stimme und sagt leise: »Der Arzt hat Ihnen ein Generikum verschrieben. Leider ist das nicht vorrätig und es ist fraglich, ob das momentan geliefert wird. Sie verstehen.«
Dabei beschreibt sie mit dem Kopf einen Kreis, der alles mögliche einschließt. Gernsbach, die Quarantäne, die Apotheke, die Kranken und mittendrin ich. Ein verwegener Mann, der jugendlichen Charme versprüht und in der größten Pandemie seit Menschengedenken ans Ficken denkt. Ich will mich schon umdrehen und gehen, da redet sie weiter. »Sie können nicht in den nächsten Ort, aber ich kann etwas versuchen. Lassen Sie mir Ihre Nummer da, ich rufe sie an.«
»Danke, ich kann weiß Gott jede Unterstützung brauchen.«
Bevor sie bei mir anklopft, ob ich noch freie Termine habe, verlassen wir die Apotheke. Na toll, ich kann ja Mailin fragen, ob sie in ihrem nicht vorhandenen Gepäck ein paar zermahlene Nashornhörner hat.

[…]


7 Gedanken zu “Gletscher

  1. Herrlich. Lass uns wissen, wann alles druckfrisch zu erhalten ist. Das MUSS in meine Büchersamlung.

    Und zum Bild: Würde Esther die Beine breit machen, könnte man dann eine Gletscherspalte sehen?
    Also sowohl Auszug als auch Bild … COOL.

    Gefällt 2 Personen

      1. Bilderrätsel? Frauen bleiben mir, in welcher Form auch immer ein Rätsel. Doch das ist gut so. Denn erhält man mal des Rätsels Lösung, geht die meist mit einer Überraschung einher.

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  2. Ich durfte ja schon lesen. Ich weiß schon alles! 😜
    Tilmann wird beim Schreiben oft so geil, dass ich als erste von noch unveröffentlichten Zeilen profitiere. Das hat was! Geil die Frau eines Autors zu sein, der geile Geschichten schreibt. Und falls es im vorigen SatzAutoren und nicht Autors hätte heißen sollen, und Tilmann mir dann am liebsten eine Deutschstunde gäbe, mache ich einfach die Beine breit, wenn er heim kommt!
    🤪🤩😘

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